Elisabeth – genannt Liz – wird Anfang der Fünfzigerjahre in einem kleinen Dorf in Süddeutschland geboren. Wie alle Frauen hier arbeitet auch sie schon als Jugendliche tagsüber in der Batteriefabrik. Wie niemand sonst ist sie das Kind von Geflüchteten, die nach Kriegsende als Deutsche aus der ehemaligen Tschechoslowakei vertrieben wurden. Während ihre Mutter Nevenka sich immer mehr in ihre Erinnerungen an die alte Heimat zurückzieht – an die widerspentig schöne Natur von damals, das eiskalte Wasser der Thaya und an eine schicksalhafte, zärtliche Freundschaft –, richtet Liz ihren Blick nach vorn. Aber wie schafft eine junge Frau den Aufstieg, wenn sie vollkommen auf sich allein gestellt ist. Noch dazu mit einer Last aus der Vergangenheit im Gepäck, von der ihre Mutter ihr nie gewagt hat zu erzählen.
Beim Reinlesen in der Buchhandlung direkt die ersten 50 Seiten weggeatmet! ☺️ Mich hat die Geschichte der Frauen sehr mitgenommen und die Sprache fand ich schön zu lesen.
„Könnte sie nur so hoch über der Baumkrone kreisen wie ein Adler, dann würde sie an manchen Tagen über die Felder hinweg die Schornsteine der Textilfabriken von Brünn sehen und in der anderen Richtung über den dichten Wald, über die Thaya hinweg den Wiener Dunst. Denn das Dorf lag genau dazwischen.“
Die Baracken sind längst dem Erdboden gleichgemacht, doch Liz weiß genau, wo sie standen, denn sie ist dort aufgewachsen und ihr täglicher Weg von der Batteriefabrik nach Hause führt sie daran vorbei. Sie ist 17 und schaut zuversichtlich in die Zukunft – allerdings braucht sie (in den 1960er Jahren) dafür die Unterschrift ihres Vaters unter dem Lehrvertrag, der ihr angeboten wird. Alles hatte sich doch zum Guten entwickelt, die Eltern besitzen nun ein Haus und eine florierende Gastwirtschaft. Und Liz leistet von klein auf ihren Beitrag, kümmert sich um ihre Brüder und hilft abends noch in der Wirtschaft. Doch der Schein trügt, denn Mutter Nevenka zieht sich immer mehr in sich zurück, nachdem ihr Mann ihr das Arbeiten verboten hat und nur noch trinkt. Und mit der Zeit spürt auch Liz, dass sie in den Augen der anderen immer die bleiben wird, die sie ist – Tochter von Vertriebenen.
»Die ist ja, ich weiß es ja, des ist ja eine aus den Baracken, pfui Deibel.« S.129
Nevenkas Erinnerungen erleben wir auf der zweiten Ebene, ihre Kindheit in einem kleinen Dorf zwischen Prag und Brno. Denket an die heißen Sommer an der reißenden Thaya mit ihrer amazonenhaften Freundin Zena zurück, zeigt uns eine friedvolle Zeit, wie es scheint. Denn die dunklen Seiten meidet sie, will sich nicht erinnern, zu schmerzvoll sind sie scheinbar. Und so blendet auch die Autorin vor all dem Leid aus, das sich in den letzten Monaten vor Kriegsende tatsächlich abspielt, deutet es nur an. Manches kann man sich ausmalen, anderes sollte man nachschlagen, wie zum Beispiel das Massaker von Lidice. Um die spezifische Charakteristika des Traumas der Sudetendeutschen zu verstehen, braucht es m.E. den Blick auf die historischen Ereignisse dahinter. Während Liz sich nichts mehr wünscht, als dazuzugehören, bleibt sie gefangen in einer Welt der Vorurteile und Ausgrenzung auf der Suche nach ihrer Identität. Ein Schicksal, das wohl für alle Geflüchteten zeitlos und universell ist. Keine Antworten zu bekommen von den Eltern, die ein Leben lang nicht nur mit dem Verlust der Heimat kämpfen. Denn das Schweigen jener Vertriebenen aus dem Sudetenland hat weitaus tiefere Beweggründe, die mir persönlich in dem Buch zu kurz kamen. Es rührte vor allem daher, die nachfolgende Generation vor dem entsetzlichen Grauen, das sie miterleben mussten, zu schützen. Die nach! dem Krieg mit der Entrechtung, dem Beschlagnahmen des Vermögens und in der gewaltsamen Vertreibung von 3 Millionen Menschen und 220.000 Toten gipfelten. Vielleicht hatte ich da andere Erwartungen an das Buch, wohl durch meine eigene Familiengeschichte. Ich muss sicher nicht alles detailliert auserzählt bekommen, hätte mir aber mehr Einblicke in die tatsächlichen Geschehnisse gewünscht. Geschichte muss erzählt werden, um sie nicht zu vergessen. Trotzdem bleibt es ein berührendes Buch, das ich gern empfehle, da es einen Blick auf die Kluft zwischen den Generationen zeigt, deren Entwurzelung und Schweigen tiefe Traumata hinterlassen.
In ihrem Debütroman "Die lichten Sommer" erzählt Simone Kucher von zwei Frauen einer Familie. Es geht zum einen um Nevenkas Kindheit in der Tschechoslowakei bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. Zum anderen um ihre Tochter Liz, die in den 50er Jahren in einem Dorf in Süddeutschland aufwächst. Denn die Familie wurde nach Ende des Zweiten Weltkrieges als Deutsche aus der Tschechoslowakei vertrieben. Doch auch in Deutschland sind sie nicht erwünscht, sondern werden als ‚Flüchtlinge‘ stigmatisiert und leben eher am Rand der Gesellschaft.
Mir hat der Roman sehr gut gefallen. Man muss allerdings, wenn man in dem Thema nicht so versiert ist, ein wenig Recherchearbeit leisten, denn Simone Kucher liefert die historischen Details und Zusammenhänge nicht gerade auf dem Silbertablett, sondern gibt eher einen sehr persönlichen, emotionalen Einblick in ein „davor“ und ein „danach“ dieser für sudetendeutsche Familien krassen Zäsur. Dass das Thema der Vertreibung drei Millionen Deutscher aus der Tschechoslowakei heute wieder vermehrt in Romanen (in Tschechien wie in Deutschland!) bearbeitet und damit auch irgendwie aufgearbeitet wird – nachdem es viele Jahre eher als Tabuthema galt – finde ich toll. Und Simone Kucher zeigt auch hervorragend, dass es kein "schwarz-weiß-Thema" ist, denn die Figuren, die sie hier in den Mittelpunkt stellt, sind nicht gerade ausschließlich oder eindeutig deutsch oder tschechisch. Dennoch wurden sie nach 1945 als dieses oder jenes klassifiziert und es wurde eine unfassbare Gewalt an der Zivilbevölkerung verübt.
A well-made debut that I only bought because of the gorgeous cover. But then I discovered the plot about a czech-german family having to flee after the second-world war and how this trauma influenced ??? a woman growing up with all the chances of the Wirtschaftswunder, but never really escaping her origin as a refugee. It resonated with me deeply, as I thought I could see my mom's family in it. I never really asked my granddad how his refuge was. I wonder if it influenced my mom.