Simone de Beauvoir gilt im aktuellen feministischen Diskurs zuweilen als überholt, steht sie doch für die so genannte „Zweite Welle“ des Feminismus, wSimone de Beauvoir gilt im aktuellen feministischen Diskurs zuweilen als überholt, steht sie doch für die so genannte „Zweite Welle“ des Feminismus, wusste noch nichts von nicht-binären Genderidentitäten oder von Intersektionalität. Die französische, in den USA lehrende Philosophin Manon Garcia findet dennoch in der Komplexität von Beauvoirs Ansatz viele Einsichten, die auch für heutige Debatten noch fruchtbar gemacht werden können. Dabei geht sie vor vom Phänomen der „Unterwerfung“ aus, also der Frage, warum Frauen häufig in Mechanismen einwilligen oder sich sogar aktiv an ihnen beteiligen, die patriarchale Verhältnisse stabilisieren. Herrschaft, so Garcias These, kann nur verstanden werden, wenn man sie auch aus der Sicht der Unterworfenen analysiert. Es sei falsch, anzunehmen, diese wären einfach nur Machtverhältnissen ausgeliefert und hätten keine Handlungsoptionen. Gerade zur Frage der „Situation“ von Frauen und der komplexen Gemengelage zwischen Zwang und Freiwilligkeit hat Simone de Beauvoir vor dem Hintergrund des Existentialismus viel Erhellendes beigetragen, das zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist. Sehr lesenswert! Erschienen in: Publik Forum, 17.12.2021...more
Die Frage, wer wie viel Zeit zur freien Verfügung hat, ist im Feminismus schon lange zentral, vor allem im Zusammenhang mit der ungleichen Verteilung von unbezahlter Care-Arbeit. Diese Diskussionen zu Zeitbudgets und die aktuellen Erkenntnisse sozialwissenschaftlicher Forschung dazu hat Teresa Bücker in ihrem Buch zusammengefasst und mit einer Metathese verknüpft: Gerechtigkeitsfragen betreffen ihrer Ansicht nach nicht nur Geld oder Macht, sondern eben auch Zeit. Grobe Unterscheidungen nach Freizeit, Familienzeit, Erwerbsarbeitszeit genügen nicht zur Analyse. So hätten gerade berufstätige Mütter kleiner Kinder es im Alltag häufig mit „Zeitkonfetti“ zu tun, also einem zerstückelten Tagesplan, in dem es zwar durchaus auch Leerlaufzeiten gibt, die jedoch kaum sinnvoll verwendet werden können. Für besonders problematisch hält Bücker den Umstand, dass es in bestimmten Lebensphasen kaum Zeit für die Pflege von Freundschaften, für ehrenamtliches oder politisches Engagement gibt....more
Interessantes Thema, aber das Buch wiederholt leider nur Sachen, die schon seit langem diskutiert werden. Als einer der Hauptkronzeugen dafür, wie schInteressantes Thema, aber das Buch wiederholt leider nur Sachen, die schon seit langem diskutiert werden. Als einer der Hauptkronzeugen dafür, wie schlimm diese linksgrün-feministischverweichtlicht-sozialpädagogisierte Kirche ist, wird andauernd Jan Fleischhauer zitiert, keine Ahnung was den dafür qualifiziert. Das Buch enthält ansonsten viele Einschätzungen von Kirchenleuten, die meist leider genauso phrasenhaft sind, wie das Buch es anderen vorwirft. Latent ist das Ganze mit einer Prise Sehnsucht nach den alten Kerlen gewürzt, die in den 1950ern noch religiösen Tacheles geredet haben, was natürlich so nicht gesagt wird, aber die Vehemenz mit der die "Kirchentagisierung" der Kirche ab den 1980ern verdammt wird, lässt kaum etwas anderes zu.
Also inhaltlich ist das Buch größtenteils kalter Kaffee und ansonsten einfach in der Analyse falsch, meiner Meinung nach. Nur ein Beispiel: Als Negativbeleg für seichte Kirchenkommunikation wird unter anderem Margot Kässmanns Satz "Man kann nicht tiefer fallen als bis in die Hand Gottes" angeführt (generell werden hauptsächlich Frauen als Negativbeispiele angeführt), aber - und ich bin nun wahrlich kein Kässmann-Fan - genau das war einer der gelungensten missionarischen Sätze, die man in den vergangenen dreißig Jahren gehört hat. Wenn ihr ein Beispiel wisst, wo das Wort "Gott" mit mehr Kraft und Allgemeinverständlichkeit und klarer Botschaft im öffentlichen Diskurs verwendet wurde, schreibt mir bitte, mir fällt keins ein.
Ansonsten machen sich die Autoren über Versuche lustig, traditionelle Kirchensprache ins Heute zu übertragen, und natürlich gibt es viele Beispiele dafür, wo das gehörig misslingt (was allerdings schon millionenfach thematisiert wurde und wahrlich keine neue Erkenntnis ist). Aber die Ansicht der Autoren, stattdessen sollten die alten heute nicht mehr verständlichen Worte (Gott, Seele usw) weiter verwendet werden, ebenso alte traditionelle Bibelübersetzungen, weil sie gerade mit ihrer fremdartigen Sprache doch für sich selbst irgendwie Kraft entfalten würden - naja, äh, nee. So funktioniert es nicht.
Generell wird in dem Buch viel kritisiert und wenig konstruktiv vorgeschlagen. Also: Kann man sich sparen....more
Ich nehme einen Schluck von dem Limobier. "Ist das lecker?", fragt das Känguru. "Ja." "War das ironisch gemeint?" "Nein." "War das ironisch gemeint?" "Ja."Ich nehme einen Schluck von dem Limobier. "Ist das lecker?", fragt das Känguru. "Ja." "War das ironisch gemeint?" "Nein." "War das ironisch gemeint?" "Ja."...more
„Pinke Linie“ nennt der südafrikanische Journalist Mark Gevisser die Grenze zwischen jenen, die Homosexualität und vielfältiAntje las ein Buch/Youtube
„Pinke Linie“ nennt der südafrikanische Journalist Mark Gevisser die Grenze zwischen jenen, die Homosexualität und vielfältige Gender-Identitäten akzeptieren, und jenen, die ein heteronormatives Modell von klaren Unterschieden zwischen Männlich und Weiblich verteidigen. Die pinke Linie trennt nicht nur Länder mit liberalen Gesetzen von solchen mit entsprechenden Verboten, sie verläuft auch quer durch Gesellschaften und Kulturen, durch Familien und teilweise sogar durch Individuen. Anhand von Protagonist:innen aus Südafrika, Uganda, Ägypten, Russland, Mexiko, Israel/Palästina, USA und Indien, die er teilweise über viele Jahre begleitet, zeichnet Gevisser kenntnisreich und differenziert diese globalen Auseinandersetzungen nach. Die Entwicklung geht leider nicht immer nur in eine freiheitliche Richtung. Gerade in den vergangenen zehn Jahren ist die Situation in vielen Ländern für Menschen, die nicht ins heteronormative Raster passen, wieder schwieriger geworden. Ein unverzichtbares Buch für alle, die aktuelle Geschlechterdebatten und die daraus resultierenden Konflikte verstehen möchten. (Erschienen in: Publik Forum, 3.12.2021)...more
Dieses Mammutwerk der britischen Kulturwissenschaftlerin Elinor Cleghorn über Mythen und Fehldiagnosen in der Medizin beimhttps://youtu.be/uKRhwNeEXwo
Dieses Mammutwerk der britischen Kulturwissenschaftlerin Elinor Cleghorn über Mythen und Fehldiagnosen in der Medizin beim Umgang mit dem weiblichen Körper reicht von der Antike bis heute, mit einem Schwerpunkt auf der angelsächsischen Tradition. Cleghorn zeigt, dass Beschwerden und Krankheiten von Frauen selten sachgerecht behandelt wurden. So galt bis weit ins 19. Jahrhundert der Uterus als hauptsächlicher Auslöser von Krankheiten – wenn keine Schwangerschaft vorliege, wandere dieses Organ haltlos im ganzen Körper herum und verursache alle möglichen Formen von Leiden. Die Therapie hieß dann „Schwangerwerden“ oder „Hysterektomie“, also operative Entfernung des Uterus. Als dieser Unsinn irgendwann nicht mehr haltbar war, trat die weibliche Psyche auf den Plan: Egal worüber Frauen nun klagten, bestritten Ärzte körperliche Ursachen und verschrieben Psychopharmaka. Überreste dieser medizinischen Missachtung von Frauen sind bis heute wirksam. Ein schockierendes und unbedingt lesenswertes Buch....more
Mithu M. Sanyal kennt man bisher vor allem als Journalistin und Autorin von Sachbüchern, zum Beispiel hat sie exzellente Bücher über die Kulturgeschichte der Vulva oder über Vergewaltigung geschrieben. Nun erschien also ihr erster Roman, und auch der ist gelungen.
Die Hauptfigur der Geschichte ist Nivedita, eine Studentin, die in Düsseldorf Postkolonial Studies studiert. „Identitti“ ist ihr Social Media- und Internet-Name. In ihrem Blog schreibt sie meistens über ihre Zwiegespräche mit Kali, der indischen Göttin. Nivedita hat an der Universität eine Lieblingsprofessorin namens Sarisvati, eine – wie alle denken – aus Indien stammende Person of Color. Sarisvati ist eine kleine Berühmtheit, wird häufig in Talkshows eingeladen, und sie ist ziemlich gut darin, ihre Student:innen zum Selberdenken herauszufordern. Nivedita und viele Mitstudent:innen haben durch sie einen Weg gefunden, sich mit ihrer eigenen Identität und was das alles bedeutet auseinanderzusetzen. Bei all dem ist Sarisvati kein bisschen klischeehaft sondern einfach originell und klug. Alle sind also ganz begeistert, bis eines Tages die Bombe platzt: Es kommt heraus, dass Sarisvati keineswegs Person of Color ist, sondern deutsch und weiß, Sarah aus Karlsruhe. Nun geht die Diskussion los. Nivedita setzt sich mit ihrer Professorin auseinander, und dieser Austausch in den Tagen und Wochen nach der Enthüllung ist die Geschichte, die in dem Roman erzählt wird.
Obwohl ein „Themenroman“, hat das Buch eine enorme erzählerische Qualität. Es ist amüsant zu lesen und enthält lauter genaue Alltagsbeobachtungen und kluge Überlegungen, sodass ein anspruchsvolles und durchaus schwieriges Thema trotzdem zu einer angenehmen Lektüre wird. Der Plot ist einem realen Fall nachempfunden, der vor einigen Jahren in den USA tatsächlich stattgefunden hat: Dort kam heraus, dass Rachel Dolezal, eine lange als Schwarze bekannte Professorin für afroamerikanische Studien, in Wahrheit aus einer weißen Familie stammte. Das hat damals ziemliche Debatten und einen Skandal verursacht, der weltweit für Diskussionen sorgte. Diese realen Debatten verwebt Sanyal in ihrem Roman, wodurch er noch einmal an Authentizität gewinnt (auch von mir, der Rezensentin, sind ein paar Passagen eingeflossen). Große Leseempfehlung also für alle, die sich für die Diskussion über „Identitätspolitik“ interessieren und sich auf genüssliche Weise in Romanform damit beschäftigen möchten. ...more
In ihrem ersten Roman erzählt Hengameh Yaghoobifarah von der Beziehung zwischen zwei Schwestern. Die Ich-Erzählerin und Prhttps://youtu.be/p4ipMOSSQsY
In ihrem ersten Roman erzählt Hengameh Yaghoobifarah von der Beziehung zwischen zwei Schwestern. Die Ich-Erzählerin und Protagonistin Nasrin ist um die vierzig, lebt in Berlin, arbeitet in einer queeren Bar und raucht unfassbar viele Zigaretten. Aber ihr unabhängiges Leben wird plötzlich unterbrochen: Ihre Schwester Nushin stirbt bei einem Autounfall, und sie wird die Erziehungsberechtigte für deren 14 Jahre alte Tochter Parvin.
Von diesem Anfangsereignis aus entfalten sich mehrere Erzählstränge. Einer ist die Beziehung zwischen der Protagonistin und ihrer Nichte, die sich pubertätsbedingt als schwierig gestaltet: Wann ist Eingreifen notwendig, wann Laufenlassen? Wie unterscheidet man als Erwachsene zwischen Schutz und Übergriffigkeit? Der zweite Erzählstrang ist eine Art Kriminalgeschichte: Ist die Schwester wirklich bei einem Unfall gestorben? Oder war es Suizid? Oder sogar Mord? Als Nasrin in dieser Richtung zu forschen beginnt, entfaltet sich schließlich der dritte und wichtigste Erzählstrang: Es ist die Erinnerung an die gemeinsame Geschichte der beiden Schwestern. In den 1980er Jahren sind sie als Kinder mit ihrer Mutter aus dem Iran nach Deutschland gekommen, wohingegen der Vater die Flucht nicht überlebt hat. Die Jugend der Schwestern war geprägt von ihrer Situation als neu angekommene nichtdeutsche Personen im Deutschland der 1990er Jahre mit seinem Rassismus, den Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte, dem Aufstieg der Neonaziszene. An diese Debatten und Ereignisse wird Nasrin erinnert, als sie versucht, mehr über den mysteriösen Tod der Schwester herauszufinden. Eine spannend geschriebene Geschichte und eine empfehlenswerte Lektüre....more
Man kommt gut auf den aktuellen Stand heutiger queerfeministischer Positionen, wobei es weniger um Argumentation als um Positionierung geht. SchlechteMan kommt gut auf den aktuellen Stand heutiger queerfeministischer Positionen, wobei es weniger um Argumentation als um Positionierung geht. Schlechtes (oder gar kein) Lektorat leider, daher wirkt der Text irgendwie unfertig, eher wie ein Manuskript als ein fertiges Buch....more
Eine recht gute Analyse des oft problematischen Vorgehens der österreichische Regierung von Sebastian Kurz mit der Corona-Krise: Geringschätzung parlaEine recht gute Analyse des oft problematischen Vorgehens der österreichische Regierung von Sebastian Kurz mit der Corona-Krise: Geringschätzung parlamentarischer Rechte, die Verkündigung von "Fake-Laws" (den Begriff merke ich mir), also dass in der Politik-Kommunikation und auch von der Polizei Dinge als verboten behauptet wurden, obwohl sie dem Gesetz nach (auch dem gerade erlassenen der Ausnahmegesetz) überhaupt nicht verboten waren, zum Beispiel bestimmte Regeln der Ausgangssperren. Sehr wichtig auch der Hinweis auf die sozialen Ungleichheiten, die sich durch Corona verstärkt haben und politisch in Kauf genommen wurden, anstatt, wie es richtig gewesen wäre, sie auszugleichen. Und über allem die völlig zutreffende Beobachtung, dass die demokratischen Defizite, die sich in der Bewältigung der Coronakrise gezeigt haben, letztlich allesamt Demokratiedefizite sind, die es auch vorher schon gegeben hat und die jetzt nur deutlich wurden. Gründe für das Problem sind eine Mischung aus autoritärem Regierungsstil, Geringschätzung rechtsstaatlicher Prinzipien seitens der Akteure sowie auch schlicht eine gehörige Portion Unprofessionalität und Ignoranz.
Unterm Strich ist das Buch für meinen Geschmack jedoch zu "staatstragend". Es erweckt den Eindruck, dass die repräsentative Demokratie die einzige legitime Herrschaftsform wäre und wenn sich nur alle ihr entsprechend verhalten würden absolut knorke und problemfrei. Ich finde das fraglich. Denn die soziale Ungleichheit zum Beispiel ist ihr inhärent, da sie sich an ein bestimmtes Wirtschaftssystem gebunden hat, das durch den hohen Stellenwert von Eigentum und freiem Markt soziale Ungleichheit immer wieder hervorbringt. Oder an ein Konzept von Nationalstaat, das unweigerlich Rassismus, Ausgrenzung und so weiter hervorbringt.
Also auch wenn ich Ehs' Vorschläge für eine Verbesserung dieses demokratischen Systems hundertprozentig teile und unbedingt dafür bin, in diese Richtung aktiv zu werden, möchte ich doch schon auch noch ein paar grundsätzlichere Fragen stellen an bestimmte Verfahrensweisen und Glaubenssätze. Beim Lesen gab es aber immer wieder Stellen, bei denen ich den Eindurck hatte, dass Ehs solche Art von grundsätzlicher Kritik bereits als antidemokratisch versteht und das Bekenntnis zum Rechtsstaat wie er faktisch existiert zur Voraussetzung legitimer Debatte macht. Beziehungsweise wie er ja faktisch gerade nicht existiert, aber quasi theoretisch "gemeint" ist. Die theoretische Qualität dieses Staatsmodells wird von ihr sehr hoch gehalten und jegliches Problematische auf falsche Auslegung oder systemwidriges Regieren zurückgeführt. Diese Analyse teile ich nicht, ich denke, dass der bürgerliche Rechtsstaat und die parlamentarische Demokratie auch eine tiefergehende Kritik nötig hätten....more
Wer sich für Care-Ökonomie und die Bedeutung von Sorgearbeit interessiert, aber noch nicht im Detail damit beschäftigt hat, ist mit dieser Sammlung von Kolumnen gut beraten. Die beiden Autorinnen sind seit Jahrzehnten publizistisch und aktivistisch auf diesem Feld unterwegs. Ihre 61 kurzen Texte umfassen jeweils zwei Druckseiten und sind in sich abgeschlossen. Das Buch lässt sich aber auch durchlesen, denn die Abschnitte folgen einer inhaltlichen Logik: Das erste Kapitel heißt „Altlasten entsorgen“ und zeigt Denkfehler und Leerstellen der traditionellen Wirtschaftswissenschaft auf. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit aktuellen Debatten, das dritte mit neuen Blickwinkeln und symbolischen Umwertungen. Das vierte Kapitel schließlich versammelt konkrete Handlungsvorschläge und mögliche politische Maßnahmen. Ein empfehlenswertes Buch, das zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik für alle zugänglich macht. ...more
Der Titel des Buches zitiert das gleichnamiges Buch der US-amerikanischen Fe-ministin Susan Faludi, die Anfang der 1990er Jahre ein Wellenprinzip feministischen Fortschritts beschrieb: Auf eine Erfolgsphase der Emanzipation folgt ein Rückschlag und so immer hin und her. Susanne Kaiser glaubt, dass dieses Prinzip nicht mehr gilt, sondern dass feministische Erfolge und sexistische Gewalt heute parallel voran-schreiten: Gerade dort, wo gleichstellungspolitisch viel erreicht wurde, wie etwa in Skandinavien, steige auch wieder die Gewalt gegen Frauen. Gerade in akademi-schen Milieus sei Sexismus weit verbreitet. Kaiser belegt das an zahlreichen Beispie-len. Ihre Erklärung: Dank der Frauenbewegung hat sich die Welt stark verändert, aber traditionelle Vorstellungen von Männlichkeit sind weiter virulent. Und obwohl heute viele Männer das Freiheitsstreben der Frauen unterstützen, gibt es eben auch solche, die im wahrsten Sinn des Wortes “zurückschlagen”. Diese Dynamik ist eine Bedrohung für freiheitliche demokratische Gesellschaften, die man ernst nehmen muss. ...more
Plädoyer für mehr Respekt und weniger Bevormundung gegenüber Müttern. Leider geraten diese Diskussionen immer in die Pro- und Contra-Falle. Die AnerkePlädoyer für mehr Respekt und weniger Bevormundung gegenüber Müttern. Leider geraten diese Diskussionen immer in die Pro- und Contra-Falle. Die Anerkennung von Mutterschaft scheint direkt an die Anerkennung der klassischen Familie gekoppelt zu sein. Die Forderungen inhaltlich teile ich ansonsten so gut wie alle, vor allem die Kritik an einem ständigen Prozess der Abwertung von Müttern (symbolisch wie real, z.B. durch Gesetzgebung - Unterhalt, Väterrechte usw.). Über weite Strecken schaffen es die Autorinnen sogar, sich dem Schützengraben-Schema zu entziehen, immerhin bemühen sie sich. Aber dann kommt eben doch wieder Feminismus-Bashing.
Allerdings stimmt es natürlich auch, dass sehr viele Feministinnen, vor allem im Gleichstellungsbereich, zu unkritisch immer dieselbe Leier singen (Erwerbsarbeit ist das Heil, mehr Väterbeteiligung ist das Heil und deshalb muss man sie dauernd betüddeln, Vereinbarkeit ist mit ein bisschen Anstrengung möglich usw.) und es stimmt auch, dass das Schwangerwerdenkönnen bzw die Tatsache, dass daraus möglicherweise etwas folgen könnte, in größeren Teilen des feministischen Diskurs ein Tabu ist. Andererseits gibt es natürlich auch feministische Gegenbeispiele - zum Beispiel Barbara Streidl mit ihrem Buch "Kann ich gleich zurückrufen" - die dann nicht berücksichtigt werden.
Was auch gar nicht erwähnt wird ist, dass es mit Care Revolution längst eine große, von Feministinnen angestoßene Debatte gibt, die das Thema in einen größeren Kontext als den der "Familienförderung" stellt. Das scheinen die Autorinnen nicht zu wissen. Sie bleiben eigentlich dabei stehen, den gegenwärtigen Trend der Mutter-Abschaffung zu bedauern, aber das nützt ja nichts. Denn dieser Trend hat ja Gründe, und die muss man angehen. Der Grund für diese Entwicklung ist jedenfalls nicht, dass Feministinnen sich zu wenig um Mütter sorgen. Der Grund ist, dass Fürsorgearbeit generell sich nicht "rentiert". Aber ein solcher politischer Fokus, der dann auch bedeuten würde, dass man sich Verbündete sucht, fehlt leider in dem Buch.
Schade, denn so werden auch sie nur zu den Bekehrten predigen - und die einen, die das schon immer so sahen, werden rufen "Super", die anderen werden rufen "Schon wieder so welche". Von dieser Sorte Bücher gibt es aber eigentlich schon genug....more
In der Vorschule baute Soraya Chemalys kleine Tochter jeden Morgen ein glitzerndes Schloss aus Bauklötzen, Bändern und Papier. Und jedes Mal machte derIn der Vorschule baute Soraya Chemalys kleine Tochter jeden Morgen ein glitzerndes Schloss aus Bauklötzen, Bändern und Papier. Und jedes Mal machte der gleiche Junge ihr Schloss mit großer Freude wieder kaputt. Seine Eltern entschuldigten sich war, aber was will man machen: Jungen sind eben so. Aber auch Chemaly selbst bekräftigte ihre Tochter nicht darin, wütend zu sein, sondern versuchte, zu vermitteln, zu erklären, zu trösten. Die Geschichte steht beispielhaft für eine Kultur, in der Frauen permanent Übergriffen, Beleidigungen, Spott und Abwertungen ausgesetzt sind. Soraya Chemaly führt uns in ihrem Buch die ganze Breite des Alltagssexismus haarklein und mit Fakten, Studien und Beispielen vor Augen. Weil nicht nur brutale Gewalt die Beziehungen zwischen Frauen und Männern vergiftet. Sondern auch die vielen unangenehmen kleinen Übergriffe, die jeder einzelne nicht gravierend sein mag, in der Summe aber – ja: wütend machen. Die US-amerikanische Journalistin ermutigt Frauen, zu widersprechen, zu ihrer Wut zu stehen und nicht nur die Männer damit zu konfrontieren, sondern auch eine Gesellschaft, die über männliches Fehlverhalten allzu bereitwillig hinwegschaut....more
Textsammlung von Menschen, die größtenteils persönlich vom Kinderkriegen erzählen und dabei die ganze Breite des Spektrums deutlich machen, die das ThTextsammlung von Menschen, die größtenteils persönlich vom Kinderkriegen erzählen und dabei die ganze Breite des Spektrums deutlich machen, die das Thema heutzutage hat. Disclaimer: Ich habe auch einen Text dazu beigetragen, übers Schwangerwerdenkönnen, allerdings ist der weniger persönlich gehalten, sondern eher ein Best Of aus meinem Buch - vom Stil her fällt das schon etwas raus. Aber natürlich ist die essayistische Herangehensweise, die die Herausgeberinnen gewählt haben, dem Thema vollkommen angemessen, da es eben deutlich macht, dass jede "Reproduktionssituation" anders ist - je nachdem ob die betreffende Person selbst schwanger ist oder erwartet, Elternteil eines Kindes zu werden, das jemand anderes zur Welt bringt. Ob das Kind das erste, zweite, dritte ist, ob es gesund ist oder krank, ob es vor der Geburt verstirbt, ob die Person sich ein Kind wünscht oder nicht, in welchem sozialen Setting sie sich bewegt und so weiter und so fort. Eine schöne Idee, das so breit zusammenzustellen!...more
„Die Argonauten“ von Maggie Nelson ist schon vor zwei Jahren erschienen. (Korrektur: Das Original ist vor zwei Jahren erschienen, die deutsche Überset„Die Argonauten“ von Maggie Nelson ist schon vor zwei Jahren erschienen. (Korrektur: Das Original ist vor zwei Jahren erschienen, die deutsche Übersetzung ist neu) : Der Verlag hat mir das Buch zugeschickt mit dem Hinweis, es könnte mich interessieren, vermutlich wegen meiner Beschäftigung mit dem Schwangerwerdenkönnen – und tatsächlich war dem auch so. Maggie Nelson erzählt die Geshcichte einer quasi doppelten Körpererfahrung: Sie selbst ist schwanger, ihr Ehemann Harry Dodge durchläuft eine Testosterontherapie und geschlechtsangleichende Operation, wobei es dann auch um das Familienleben mit Harrys Sohn geht, den er zuvor selbst geboren hatte. Also eine sehr spannende Geschichte um Geschlecht als sowohl körperliche Erfahrung als auch soziale Konstruktion, und das Ganze so intelligent wie unterhaltsam erzählt mit jeder Menge philosophischer Referenzen. Also wirklich nach meinem Geschmack und vielleicht auch nach eurem. ...more
Wenn man selbst in den 1970ern und 1980ern auf dem (hessischen?) Dorf aufgewachsen ist, erkennt man vieles wieder. Ich hätte es nicht so liebevoll erzWenn man selbst in den 1970ern und 1980ern auf dem (hessischen?) Dorf aufgewachsen ist, erkennt man vieles wieder. Ich hätte es nicht so liebevoll erzählen können, weil es in Wirklichleir ziemlich schrecklich ist, habe es aber gerne gelesen. ...more
Laurie Penny: Bitch Doktrin. Nautilus Flugschrift, Hamburg 2017, 320 Seiten, 18 Euro Die britische Journalistin Laurie Penny ist eine der bekanntesten Laurie Penny: Bitch Doktrin. Nautilus Flugschrift, Hamburg 2017, 320 Seiten, 18 Euro Die britische Journalistin Laurie Penny ist eine der bekanntesten feministischen Vordenkerinnen heute und besonders in Deutschland populär. In diesem Sammelband sind Texte und politische Kommentare von ihr aus den Jahren 2013 bis 2016 versammelt. Sie umreißen engagiert und gut lesbar Positionen und Themen, die heute im Feminismus wichtig sind. Es geht zum Beispiel um Kapitalismuskritik, um Sexarbeit, um Queerfeminismus, Homoxesualität und Transgender, um reproduktive Rechte, um Intersektionalität und Antirassismus, um Medienkonsum und Fernsehserien. Außerdem sind aktuelle Texte dabei, die sich mit dem Aufstieg des Rechtspopulismus, dem Wahlsieg von Donald Trump und der Frage, vor welche Aufgaben und Notwendigkeiten das die Frauenbewegung stellt, beschäftigen. Der Sammelband ist ein guter Einstieg in die aktuellen Debatten und Fragestellungen für alle, die wissen wollen, was viele vor allem jüngere Feministinnen heute bewegt. (erschien auch in Publik Forum, 12.1.2018) ...more