Der dumme Neid.
Ich hasse den Anblick von Hüllen großer Talente, die der Neid zerfressen hat, bevor sie sich entfalten konnten. Schlaflos machen mich auch die Opfer des Neides, denen dieses Unrecht widerfährt. Was soll diese unnütze Emotion eigentlich? Was kann man tun, wenn man ohnmächtig ist vor Neid? Wie geht man als Beneideter mit Neidern um? Kann man dieses Unkraut auch jäten? Diesen Fragen werde ich in den nächsten Tagen nachgehen.
Dem Wollüstigen gefällt die Hurerei ausgesprochen, der Maßlose lässt sich den Schweinskopf schmecken. Eitle Damen finden im Spiegel ihr Glück, und dem Geizigen gefällt, nichts teilen zu müssen. Nur der Neider hat keine Freude an seinem Laster. Das einzige, worin er sich suhlen kann, ist seine selbstzerstörerische Misere. Es ist kein Zweifel, dass Neid die dümmste unter den Sünden ist. Dumm ist der Neid nicht nur, weil man ihm nichts Positives abgewinnen kann. Neid ist dumm, weil er aus fehlerhaftem Denken erwächst. Der Neider leidet an einem selbstgeschaffenen Phantom, das ihn zerfrisst, ehe er seine Falschheit durchschauen kann. Wären wir in einem mittelalterlichen Gemälde, würde uns der Neid vermutlich in der allegorischen Gestalt einer zerfallenden Vettel begegnen, die faulzahnig an ihrem eigenen Herzen nagt. Ein treffendes Bild!
Über das Gefühl des Neides kann man sagen, dass ihm bestimmte zu hinterfragende Annahmen zugrunde liegen. Erstens: Das, was der Beneidete hat, ist toll. Zweitens: Der Beneidete misst der Sache denselben Wert zu wie ich. Und drittens: Meine Vorstellungen vom Glück, das diese Person aus dem Besitz der Sache zieht, stimmen mit ihrem subjektiven Glück überein. Im praxisnahen Beispiel könnte Neider Fritzi denken: „Also, Murmels Blog ist eins der meistgelesenen in Deutschland. Man, das ist toll! Ich wette, Murmel geht da jeden Tag einer ab, bei den Besucherzahlen. Wenn ich so gut schreiben könnte, hätt ich voll das Traumleben. Wie Murmel.“ Schön wäre, wenn Fritzis Gedankengang nun eigene Initiative folgen würde. Wenn Fritzi Top-Blogger werden wollte, könnte er sich ein Beispiel an Murmel nehmen und ebenfalls jeden Tag stundenlang Recherchen zu diversen Themen treiben, um am Abend in der Lage zu sein, einige kluge Sätze darüber zu schreiben. Leider kommen die meisten Bewunderer nicht über diesen Schritt hinaus. Die Einsicht, selbst nicht auf Anhieb zu können, was der Beneidete scheinbar mühelos kann, ist lähmend, entmutigend, ein Angriff auf das Selbstbewusstsein. Was dann folgt, ist ein alberner Schwanz an Gedanken, die auf irrationalste Weise das geknickte Selbst wiederaufzurichten suchen.
Das Erste, was man gegen die Bedrohung unternehmen kann, ist, die Legitimität des Bewunderten anzuzweifeln. Der Neider sucht nach Widersprüchen, Fehlern und Unvollkommenheiten, einzig um nachweisen zu können, dass die beneidete Person der eigenen schmerzenden Idealvorstellung von ihr nicht standhält. Wenn Fritzi sich selbst (und am besten auch anderen!) klarmachen kann, dass der König seinem Status nicht gerecht wird, hat er die Illusion, die Chancen stünden für ihn besser, eines Tages selbst den Thron zu erklimmen. Das ist im Grunde die Denke heranwachsender Mädchen, die für einen Star schwärmen und meinen, sie könnten ihn heiraten, wenn er sich nur von seiner blöden Promi-Freundin trennen würde.
Im Internet wuchert der Neid, man begegnet ihm in Blogkommentaren und Amazon-Rezensionen. Er tarnt sich als legitime Kritik und scharfsinniger Rant und sein Ausdruck findet nicht selten Beifall. Aber er zerstört beide: die Neider und die Beneideten. Natürlich kann man nicht jedem Kritiker Neid vorwerfen. Solange jedenfalls nicht, wie er auf der sachlichen Ebene bleibt und seine Argumentationsgrundlage transparent hält. Aber was soll man von Leuten halten, die sich drei verschiedene Amazon-Accounts anlegen, um mit mäßig gelungener „Stimmverstellung“ den Autor eines Buches zu „verreißen“? Dem Phänomen der engagierten, ausufernden Negativ-Rezi begegnet man eigenartigerweise selten bei den ganz Großen, auch wenn die schon mal ziemlichen Scheiß veröffentlichen. Es sind die „Promis“ aus dem Netz, die den größten Neidattacken ausgesetzt sind. Menschen wie Sascha Lobo, Jan-Uwe Fitz oder Ada Blitzkrieg. Warum? Weil sie „jedermann“ sind. Weil sie nicht ins Netz herabgekommen sind aus dem Fernsehen, sondern nur Typen mit einem Laptop sind, wie du und ich. Und weil sie Aufmerksamkeit generieren, nach der wir uns selbst so sehnen. Neidisch ist man in Nerd-Kreisen nicht auf die Prinzessin von Monaco oder Boris Becker, sondern auf Leute, die etwas erreicht haben, das man selbst hätte erreichen können oder wozu man wenigstens in der Lage zu sein meint. Und so liest man aus Kommentaren, Rezensionen und dergleichen immer den Schmerz über den Erfolg der Anderen heraus, der im Grunde nur eine Negativfolie für die eigenen Gefühle der Unzulänglichkeit und des Versagens vor dem eigenen Anspruch ist. Ergo: dem Beneideten wird Schmerz zugefügt, als eine Art „Rache“ dafür, dass man selbstverschuldete Schmerzen leidet. Weil man so viel zerstörerische Energie in den Neid steckt, verkrüppelt man sich selbst bis zur Handlungsunfähigkeit. Noch ferner rückt damit das Ziel, selbst auf den grünen Zweig des Erfolges zu kommen. Und ist das nicht dumm?
Gewiss würde manchem Neider helfen, einen Blick auf die andere Seite des Neides zu werfen. Dazu eine Anekdote aus meinem faden Leben:
Zu einem Selbstbild als Beneidete war ich nie in der Lage. Außer Rambo auf VHS hatte ich nichts, das die Bewunderung Anderer auf sich ziehen konnte. Ich war unscheinbar, schüchtern und still. Niemand riss sich darum, mit mir befreundet zu sein. Nur im Kunstunterricht wollten alle neben mir sitzen, ich konnte nämlich gut zeichnen. Die Bewunderung, die mir zuteilwurde, war wohlwollender Natur. Während dieser zwei Stunden im Kunstraum fühlte ich mich wertvoll und geschätzt. Die Bestätigung löste einige zwischenmenschliche Blockaden. In der Acht wurde im Rahmen irgendeines Projekts eine Klassenzeitung nach Art einer Abi-Zeitung produziert und die Schüler charakterisierten einander in mittelmäßigen Artikeln. Über mich stand drin: „Von vielen wird sie um ihr Schreibtalent beneidet.“ Und ich so: Häää??? Wieso denn ausgerechnet beneidet? Dass Neid hier nicht als Bewunderung, sondern als Missgunst gemeint war, erfuhr ich schon bald in Form persönlicher Geständnisse und vertraulicher Berichte: „Die haben ein Problem mit dir, weil du dies und jenes kannst.“ Es hat mich absolut verstört, um etwas beneidet zu werden, von dem ich dachte, dass es allen Freude bringt. Ich kannte Neid aus anderem Zusammenhang. Überall gab es die selbsterklärten Übermenschen aus der letzten Reihe, die es darauf ankommen ließen, beneidet zu werden. Wenn andere sich mies fühlten, ging es ihnen gut. Es waren Mobber, Markenprolls, verwöhnte Bildungsbürgerkinder. Reich & Schön der Schulhofwelt. Mit allem, was sie taten, wollten sie demonstrieren: Wir sind oben, weil ihr unten seid. Das war nun das Letzte, was ich wollte, wenn ich zeichnete oder schrieb. Ich tat es, um meine Freunde zum Lachen zu bringen. Um gemocht zu werden. Und natürlich, weil es mir Spaß machte.
Bis zum heutigen Tag ist es ein Schlag ins Gesicht, um etwas beneidet zu werden, mit dem ich niemandem wehtun will. Neider geben Internet-Kreativen das Gefühl, Bösewichte zu sein. Egozentrische Wichtigtuer, eingebildete Selbstdarsteller, aufmerksamkeitsgeile Dilettanten. Vielleicht hilft’s gegen den Neid, der unbequemen Wahrheit ins Gesicht zu sehen: die meisten Kreativen sind nicht kreativ, weil sie sich über andere erheben wollen, sondern ganz im Gegenteil: weil sie geliebt werden wollen.
Mehr darüber, wie man seine destruktiven Gefühle mit der Kraft von Herz und Hirn bekriegen kann, im zweiten Teil der Neid-Trilogie: Stay tuned!
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