Streifen. Und Stilverlust. Oder -änderung?

Meine Näherei liegt bald so brach wie meine Strickerei und ich finde das sehr belastend, spricht doch jeder Zentimeter Stoff zu mir von schlechtem Gewissen – auf die Wollknäuel höre ich gar nicht mehr. Obwohl: Sie lagern unter meinem Bett und meine Nächte sind wenig erholsam, es könnte also einen Zusammenhang geben … egal, egal. Denn ich habe endlich etwas genäht! Fast sogar flott: Vor noch einem guten Jahr hätte ich für ein ärmelloses Top mit zwei Teilungsnähten keine zwei Stunden benötigt. Aber  noch einmal: Egal, egal. Gestern abend schnitt ich zu und steckte alles zusammen, heute morgen habe ich anstatt zur Feder zur Nadel gegriffen und habe es genäht. Wow!



Wie immer bin ich nicht in der Lage, das Oberteil angemessen abzulichten – in diesem Fall fühle ich mich schuldlos, denn weite, gerade, kurze Tops aus nicht fließenden Stoffen neigen dazu, auf Bildern massiver zu wirken, als sie es sind. Und ich finde es lustig, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben so aussehe, als hätte ich schmale Hüften und eine Riesenoberweite und ein breites Kreuz. Besonders zwei Fotos leisten ganze Arbeit:


 




 


Und ihr dürft nun meine Uneitelkeit loben, dass ich diese Bilder zuerst zeige, aber ich gebe zu, ich ließ mir vorhin noch versichern, dass ich so nicht aussähe … soviel zu der Tatsache meiner nicht vorhandenen Eitelkeit. Aber eigentlich, eigentlich wollte ich nicht nur das Top zeigen, sondern – viel mutiger – meine Beine mit all ihren Dellen und Wellen. Als ob ich in der Lage wäre, detailgetreue Bilder zu zeigen.


Denn seit etwa drei Wochen trage ich auch außerhalb des Hauses, wenn es heiß genug ist, (gekaufte) Shorts, die – deshalb heißen sie ja so – richtig kurz sind. Wohlwissend und mitunter darüber sinnierend, dass derlei ja nicht gerne gesehen wird. Ab einem gewißen Alter – ich habe wahrhaftig die Dreißig als magische Grenze nennen gehört! – verzichtet eine Dame darauf, ihre nicht mehr einwandfreien Beine zu zeigen, denn kein schlimmeres Schicksal ist denkbar, als dem Jugendwahne zu verfallen und nicht zu toucherkennen, wie das eigene Verfallsdatum weit hinter einem liegt. Und ja, so ganz kühl lässt mich das nicht und würde mir gerne ein Schild umhängen, das erläutert, weshalb ich sie trage. Nicht, weil ich mich noch so wahnsinnig heiß finde oder ein besonders gut erhaltenes Exemplar einer Endvierzigerin wäre, sondern weil es heiß ist und ich zweimal täglich mit zwei Hunden durch die Natur wandere …


Und während mir das heute morgen beim Gassigang zum ersten Mal bewußt wurde, überlegte ich einiges andere. Ich erwähnte schon einmal, dass das Leben mit zwei Hunden und zwei Katzen, nicht zu vergessen zwei Söhnen und einem Gatten, mich vor Einschränkungen modischer Natur gestellt hat. Wären es vier Katzen, so müsste ich weiterhin nur auf häufiges Haareeinsammeln und krallresistente Stoffe achten. Doch täglich bei jedem Wetter raus zu müssen? In Vintage hätte ich das nicht gekonnt – und wer mir ernsthaft etwas anderes erzählen will, geht sicherlich nicht mit zwei echten Hunden durch echte Natur, sondern mit einem braven Hündchen auf planierten Wegen.


Nun hatte ich mit Vintage ja aus anderen Gründen gebrochen – es gefiel mir an mir nicht mehr und war mir auch zu restriktiv. Was an den körperlichen Veränderungen lag, die enge Rocktaillen und hohe Absätze nicht mehr tolerierten. Ganz kurz hatte ich gar einmal überlegt, ob ich denn zu Beginn nicht sehen konnte, dass es zu mir nicht passte und blätterte zurück. Nein, es ist für mich noch immer gut sichtbar, weshalb mich Vintage anzog: Ich war jünger und ich war – böses Wort – dünner. Meine Hüften waren wohl breit, aber eben nicht breiter als meine Schultern, der Bauch zwar gewölbt, aber nicht im Weg. Mit jedem Jahr und jedem Kilo fand ich die Anpassung schwieriger und das Ergebnis trauriger. Jünger würde ich nicht mehr werden, dünner jedoch war möglich.


Und als ich auf meinem Spaziergang an diesem Punkt der Überlegungen angelangt war, hielt ich erschrocken inne, denn dünn ist für mich aus zwei Gründen ein böses Wort: Zum einen ist es sehr verletztend, wenn man um Gewichtserhalt kämpft und zum anderen löst es bei vielen einen Reflex aus, der nicht eben positiv ist; da fallen uns allen sicherlich viele (seltsame?) Diskussionen der letzten Monate ein. Warum also wollte ich wieder dünner werden, wo ich doch immer nach mehr Gewicht gestrebt hatte und ich mich nicht zwangsläufig schöner finde auf den früheren, dünneren Bildern?


Weil, und das werden wohl viele dünnbeinige  und -armige Frauen kennen, man innerlich ja doch ebenso zufrieden mit sich ist und sein könnte, wie es alle anderen Menschen sind oder sein sollten. Wenn nur nicht immer jede und jeder riete, man möge doch ein wenig mehr essen …


Und dann, eines Tages, gelingt es vielleicht mit dem Mehr an Gewicht. Nach dem die Kinder auf der Welt sind, die weniger Bewegung und mehr Trostschokolade mit sich brachten und dann kommen noch die Jahre dazu. Auf einmal hat man die jahrelang so vergeblich herbei gewünschten Kilos und wähnt sich am Ziele. Näht man, dann hat man vielleicht die Maße immer parat – alle Maße! Mich beschlich ja, nachdem ich also auf sagenhafte 64 kg mich hoch gearbeitet hatte, immer ein Gefühl der Fremdheit, wenn ich mich im Spiegel besah. Nachdem ich wieder Kleidung kaufte, wurde es verstärkt, dieses Gefühl. Ich brauchte Kleidergröße 42 und die saß an der Hüfte knapp, schlackerte mir dafür aber schlimmer denn je um die Waden. Ich maß nach.


Als ich mit dem Nähen begann, wog ich meist 54 kg und hatte die Maße 84 – 65 – 91, meine Waden waren an ihrer dicksten Stelle 29 cm „dick“. Mit 10 kg mehr hatte ich 94 – 74 – 104 zu bieten, meine Waden waren auch gewachsen – um sagenhafte 0,5 cm! Denn egal, was ich esse: Auf Arme und Beine hatte es keinen Einfluß. Nun will ich keinesfalls auf 54 kg zurück, aber ein Kilo weniger wäre mir nun lieb (dann wäre ich bei 57 kg und Kleidergröße 38) – im Laufe des letztes Jahres hatte ich ja auf all den Kram verzichtet, der mich so hoch gepusht hatte und um den ich gedanklich oft kreiste. Hatte ich morgens einen Ostfriesentee getrunken, so hatte ich danach Appetit auf Chips, danach auf etwas Süßes, etwas Warmes, etwas Herzhaftes, etwas Knackiges und so war ich den ganzen Tag damit beschäftigt, es mir gemütlich zu machen und zu essen. Ja, das habe ich mir dann doch mal aufgeschrieben, als das Gefühl, im Spiegel einer fremden Frau gegenüber zu stehen, übermächtig wurde und ups – ich war doch überrascht. Mein Grundumsatz lag dank Größe, Alter, Gewicht und Tätigkeit bei knapp 1800 kcal und was ich zu mir nahm … es gab Tage, da lag ich bald beim doppelten und außer ein wenig Hausputz und ein paar Situps hatte ich nicht viel Bewegung.


Langer Rede, kurzer Sinn: Ich fühle mich jetzt deutlich wohler, weil mir selbst deutlich näher. Meine Waden sind übrigens – dank Max und Micky und flacher Schuhe – auf 32 cm gewachsen und meine Hüften stehen mit der Schulter wieder in einer Linie. Was ich neben dem Gewicht aber auch verloren habe, ist die Sicherheit, zu wissen, was ich an mir mag, was mein einer und erkennbarer Stil ist. Gehe ich heute noch davon aus, dass schlicht, uni und cool das einzig Wahre ist, stehe ich morgen vor romantischen Blumen und träume vom Hippie-Look. Blättere ich in meinem Archiv zurück, dann liebe ich noch immer Bleistiftröcke und hohe Schuhe, trage ich sie jedoch einmal, so blickt mir ganz schnell eine gut mittelalte, leicht erschöpft wirkende Frau aus dem Spiegel entgegen, die eher bieder als schick wirkt. Und das ich diese Sicherheit verloren habe, ist vermutlich der Hauptgrund für meine Näh- und Stricklähmung. In diesem Dreieck zwischen Alter – Körperlichkeit – Alltag bemühe ich mich um die bestmöglichste Kombination und die beinhaltet nun kurze Hosen, die ich mich nie zu tragen wagte in all den Jahrzehnten zuvor.  Denn sie sind einfach die praktischste Kombination zu liebevoll gestichelten Blusen und Tops.


 




 


Wenn das kleine Top auf den Bildern auch nicht als Figurschmeichler auftritt, so habe ich es dennoch recht lieb

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Published on June 19, 2017 04:26
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